Kind Kaputt Endlich Wieder Cover

KIND KAPUTT

“Endlich wieder”
LP, digital
22.10.2021

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Sind Kind Kaputt gerade aus einem Alptraum erwacht oder ist es schlicht das reale Leben selbst, das sortiert werden muss? In ihren neuen Songs räumt die Band aus Leipzig mit der Destruktivität auf und hat den Mut zum pointierten Fingerzeig. Ein Schritt, mit dem das Quartett nicht nur thematisch eine neue Deutlichkeit gewinnt, sondern im Herausschlagen aus dem Dickicht des Lebens auch einen ganz neuen Sound findet. Analog zur geradlinigeren Lyrik klingt der neue Kind-Kaputt-Sound geradezu schnörkellos und gleichzeitig eigenständiger denn je. Musik, die die Lasten des Alltags nicht auslöschen kann, aber dir die Hand reicht, wenn es aussichtslos erscheint.

Das 2019 veröffentlichte Kind-Kaputt-Debütalbum „Zerfall“ war ein bildgewaltiger Monolith, dessen Titel allein schon seine destruktive Ader unterstreicht. In zwölf konzeptuell zusammenhängenden Songs formulierte die Band um Sänger Johannes Prautzsch, Drummer Mathis Kerscher, Gitarrist Konstantin Cajkin und Videograph Fabian Willi Simon die Geschichte einer ganzen Generation, die nach Halt suchte. Das Gefühl der Uferlosigkeit war in massiven Post-Hardcore-Kunstwerken begraben, die die Überforderungen des Alltags durch Hilflosigkeit widerspiegelten. Wie aber macht man nach einer Platte weiter, die die Sorgen einer fragilen Lebensrealität zwar zielsicher auf den Punkt brachte, aber kaum nach Auswegen suchte? Kind Kaputt klingen vielleicht auch durch die Nachwirkungen einer massiven Platte wie „Zerfall“ auf ihren neuen Songs so, als hätten sie sich noch einmal ganz neu entdeckt.

Denn plötzlich meint man, in den Songs wieder etwas Kontur im Weltschmerz zu finden. Kind Kaputt haben ihren Sound radikal aufgeräumt und dabei das Kunststück vollbracht, trotzdem nicht in Banalitäten abzudriften. Die gigantischen Soundwände weichen strukturierten, nach vorne weisenden Alternative-Melodien, die durch ihre einnehmende Melodik umso mitreißender wirken. Auf einem zum Tonstudio umfunktionierten Dachboden entstehen so statt eines groß angelegten Konzeptwerks viele einzelne Songs, die ihre Botschaften um so pointierter auf den Punkt bringen können. Gleichzeitig geben Kind Kaputt ihren Hang zu wunderbarer Bildsprache nicht auf, aber verpacken ihre Botschaften mit noch mehr Mut zur deutlichen Benennung. „Die Zeit nach dem Album war schwierig“, erinnert sich Mathis. „Wir sind alle in ein ziemliches Loch gefallen und wussten lange nicht, wie wir weitermachen sollten. Erst nach einem Dreivierteljahr haben wir wieder Songs geschrieben. Wir wollten sie anders schreiben: geradliniger, direkter, klarer.“

Die neuen Kind-Kaputt-Songs erweisen sich mit ihrer unmissverständlichen Sprache als Musik mit sinnbildlicher Kante, an der man sich festklammern kann. In den Tracks steckt der pulsierende Duktus der deutschen Post-Punk-Schule, aber sucht in diesem nicht die zermarternde Selbstzerstörung, sondern das Streben nach Durchblick im Nebel der Gefühle. Kind Kaputt finden im Feuer der rotierenden Bass- und Gitarrenriffs und des unbarmherzig nach vorne preschenden Schlagzeugs dabei immer die rettende Melodie oder den offenarmigen Alternative-Hymnus, der die Songs nicht nur verständlich, sondern auch einladend macht. Dass die Band dabei in manchem Element an die späten Heisskalt erinnert, dürfte kaum ein Zufall sein – schließlich ist deren Sänger Mathias Bloech auf vielen der Tracks als Produzent tätig gewesen und hat sich mit der Band an ein paar brühend heißen Sommertagen zum Aufnehmen eingeschlossen.

Der Ansatz der so entstehenden Einzelstücke spielt auch Bandmitglied Fabian Willi Simon in die Karten, der bei Kind Kaputt einzig für die visuelle Inszenierung zuständig ist und der zu jedem der neuen Songs ein unverwechselbares Video entworfen hat. Die mannigfaltige Bandbreite dieser Clips unterstreicht deutlich, wie sehr Kind Kaputt durch ihre Arbeitsweise auch die Einzigartigkeit einzelner Kunstwerke noch viel tiefer ausarbeiten können. So wird der Song „Gründe“ durch ein verschachteltes Performance-Video begleitet, „Bleiben“ mit Heisskalt-Frontmann Mathias Bloech übersetzt die Blumen-Metapher des Textes in das sehr bildliche Szenario eines Gewächshauses und die weitläufigen Aufnahmen zu „Zeit“ sind sogar komplett im Microsoft Flight Simulator entstanden.

Es spricht für die Weitsicht von Kind Kaputt, dass ihre neuen Songs trotz ihrer herausdestillierten Schärfe nicht den Blick fürs Wesentliche verlieren. Denn natürlich ist die Welt auch nach dem „Zerfall“ nicht plötzlich in Ordnung, vielleicht ist sie sogar schlimmer denn je. Aber womöglich wirkt kluge Reflektion manchmal stärker als Selbstzerstörung. Diese Musik braucht es gerade – besonders dann, wenn die Realität um sie herum noch so viel ruheloser erscheint.